Monatsarchiv: Januar 2024

JUNGES TEAM FÜR ALTE OPER – Barrie Koskys und Suzanne Andrades wirbelnde Inszenierung von Mozarts „Zauberflöte“ ist jetzt in Stuttgart zu sehen und mit bemerkenswerten Rollendebüts zu hören

Ein gewisses Wagnis war es schon, das der Stuttgarter Opernchef Viktor Schoner eingegangen ist, als er sich entschlossen hat, in Mozarts „Zauberflöte“ die schwierigen Partien von überwiegend sehr jungen, teilweise debütierenden Sänger/innen ausführen zu lassen. Doch einmal wieder bewies er in seiner Besetzungspolitik eine glückliche Hand; der Vertrauensvorschuss ist eingelöst worden, und so hat sich der Gedanke als richtig erwiesen, an einem großen Haus dem hochqualifizierten künstlerischen Nachwuchs die Gelegenheit zu geben, anspruchsvolle Aufgaben in der Praxis umzusetzen.

Auf diese Weise war beispielsweise in George Petrous ein Dirigent kennen zu lernen, der sein Handwerk auch in den kniffligen Accompagnato-Abschnitten wie der Weisheitslehre oder der Sprecherszene souverän versteht, mit präziser Zeichengebung Phrasierungsfeinheiten vorgibt, auf binnendynamische Details achtet und dem Ganzen innere Geschlossenheit und Spannung verleiht. Da bohrten sich in der Ouvertüre voller Intensität die Fagotte in den Melos. Da betupfte das Accompagnement mit anmutiger Delikatesse Papagenos sattsam bekanntes Vogelfänger-Auftrittslied. Da war die Begegnung zwischen Pamina und Papageno im ersten Akt („Bei Männern, welche Liebe fühlen“) kein gemütliches Duett, sondern durchwirkt von der Tragik zweier Protagonisten, die sich nach dem wirklichen Duettpartner sehnen. Und da erklang das Finale in jener makellosen Reinheit, die hier zwar erforderlich ist, doch nicht immer erreicht wird.

Genauso viel Freude beim Zuhören bereitete das Sängerensemble, etwa das opulent besetzte Damen-Trio mit Stine Marie Fischer an der Spitze, eine geradezu exquisite Sängerin für die Dritte Dame; die beiden Debütantinnen aus dem Opernstudio Lucia Tumminelli und Shannon Keegan komplettierten vorzüglich. Als Papagena debütierte Kyriaki Sirlantzi mit zartem, doch voll tragfähigem Stimmkörper, federleichter Ansprache, flexibler Stimmführung und sehr guter Bühnenpräsenz; als Pamina Claudia Muschio warm timbriert, mit klarer Artikulation und in ihrer g-Moll-Arie samten anrührend. Eine bemerkenswerte Stimmfachentwicklung war bei Beate Ritter zu verzeichnen – in der Spielzeit 22/23 noch ein stimmschön zwitscherndes Waldvöglein in Wagners „Siegfried“, jetzt die Königin der Nacht. In ihrer Arie im ersten Aufzug gefiel ihre Ausdrucksgestaltung. Sie zeigte, dass die Sternflammende Königin hier noch liebende und zugleich um den Verlust ihrer Tochter Pamina leidende Mutter ist und noch nicht der mordlüstige Racheengel des zweiten Aufzugs, wo Ritter angemessen kräftig Metall beigab. Sie artikulierte textdeutlich, mit guten Farbschattierungen, bei der Höllenrachearie zudem noch höhensicherer als zuvor.

Bei den Herren vermochten der kultivierte, nie übertreibende oder gar in Charge abgleitende Papageno von Björn Bürger, der sympathische, ebenmäßig geführte Tamino Mingjie Leis und David Steffens als ein Sarastro voller kantabler Sonorität nachhaltige Aufmerksamkeit zu erzielen. Überdies ließen der Erste Geharnischte von Moritz Kallenberg wie auch die Männerchorriege in der Einstudierung von Bernhard Moncardo aufhorchen. Sicher und kompetent zudem die drei Solisten der Tölzer Sängerknaben.

Nur in Superlativen lässt sich von der brillanten, gemeinsam mit Suzanne Andrade von der Künstlergruppe „1927“ entwickelten Inszenierung von Barrie Kosky berichten, die genauso originell wie organisch reelles Bühnengeschehen mit Animation, Stummfilmelementen und Zeichentrick verbunden hat; großartig auch, wie die Sänger/innen dieses Konzept mittrugen. Kosky und die „1927er“ zeigten, dass Heiterkeit ohne Banalität möglich ist. Dass Figuren nicht ihrer Fallhöhe beraubt werden brauchen. Dass nicht aus dem Wahn des Noch-Nie-Dagewesenen hinaus das Werk gegen den Strich gebürstet oder einer all-is-fun-Spaßidee aufgeopfert werden muss. Und dass all’ dies lebendig und quellfrisch über die Rampe kommt. Die Vielfalt an szenischen Ideen hier nun zu beschreiben – unmöglich. Also hingehen, schauen, staunen und sich erfreuen!

DER KLASSIKKRITIKER

Produktion der Komischen Oper Berlin. Stuttgarter Premiere am 3. Oktober 2020, Wiederaufnahme und besuchte Vorstellung am 16. Januar 2024, Folgeaufführungen am 20.,26. und 28.1., 17.,20.,22,.23.2. sowie am 13. 3.2024

Weitere Informationen:

https://www.staatsoper-stuttgart.de/spielplan/a-z/die-zauberfloete/

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