BESIEGELUNG DES WELT-SCHICKSALS BEIM KAFFEEKRÄNZCHEN – Brigitte Fassbaenders Inszenierung von Wagners „Götterdämmerung“ bei den Tiroler Festspielen Erl

Drei elegante ältere Damen treffen sich beim Kaffeekränzchen zu Plausch und Handarbeit. Doch was sie einander berichten und miteinander verhandeln, hat es in sich: Machtmissbrauch, Umweltzerstörung, Rache oder Raub. Und sie sind an diesen Geschehnissen auch noch mitbeteiligt, sind sie doch die drei Nornen, welche die Schicksalsfäden der ganzen Welt in der Hand halten: Große Schicksale werden eben oft genug in banaler Umgebung besiegelt – dieser Gedanke spielt sich in Brigitte Fassbaenders spannend gestalteter Prolog-Szene von Wagners „Götterdämmerung“ in ihrer Neuinszenierung für die Tiroler Festspiele Erl in den Vordergrund. Wobei die spannende Gestaltung keineswegs nur auf die Regie zurückzuführen ist, die sich einmal wieder durch hohe Detailgenauigkeit ausgezeichnet hat – nie ist bei Fassbaender eine Geste vergebens, doch alles, was man aus der Partitur heraushört oder -liest, ist präsent – sondern auch auf die drei ausgezeichneten Solistinnen, die großstimmig und mit vorbildlicher Deutlichkeit deklamieren.

Da kündet Anna-Katharina Tonauer ergreifend von Wotans Befehl, die Weltesche fällen zu lassen mit der Konsequenz, dass auf Erden die Wasserquellen versiegen, setzt Monika Buczkowska eindringlich das Fanal des bevorstehenden Weltenbrands samt Untergang der Götter und bringt Marvic Monreal perfekt deklamierend Alberichs Raub des Rheingolds in Erinnerung.

Zwei weitere Handlungsabschnitte bleiben von dieser insgesamt guten und sinnhaften Neuinszenierung in besonderer Erinnerung: die Waltrauten-Szene und die Auseinandersetzung Siegfrieds mit den drei Rheintöchtern. Der zunehmend zum Disput werdende Dialog zwischen Waltraute und Brünnhilde bringt in vielen Götterdämmerung-Produktionen ein retardierendes Moment ins Spiel. Aber nicht bei Brigitte Fassbaender und Zanda Švěde als geradezu phänomenaler Waltraute. Es schien, als ob Fassbaender, die ihrerseits beispielsweise im Bayreuther „Ring“ von 1983 die Figur höchst eindrucksvoll insbesondere musikalisch verkörperte, da der seinerzeitige Regisseur Peter Hall die handelnden Personen nur ansatzweise entwickelt hatte, ihre gesammelten Erfahrungen in dieser Szene wie in einem Brennglas bündelte und durch jene gestischen und mimischen Akzente komplettierte, die sie als Sängerin bei anderen Regisseuren vermissen musste.

Christiane Libor als Brünnhilde stand hier wie überhaupt über den gesamten Aufführungsabend hindurch in nichts nach. Unter den ohnehin rar gesäten Hochdramatischen bewegt sie sich in einer Extraklasse. Schwierig zu entscheiden, was an ihr mehr zu bewundern ist: ihr großes Differenzierungsspektrum oder ihre spürbare Leidenschaft, ihr 100-prozentiges Stehvermögen oder ihre perfekte Übereinstimmung zwischen vokaler und darstellerischer Gestaltungskunst, die vorbildliche Diktion oder die vollendete Phrasierungskultur. Die Solistinnen-Riege wurde komplettiert durch die ausgezeichnete Irina Simmes, die von Brigitte Fassbaender dankenswerterweise nicht als hübsches Dummchen aufgefasst worden ist, sondern als eine Jugendliche, die nicht länger als Mädchen, sondern als Frau wahrgenommen werden möchte, wobei Simmes an ihren großartigen Erfolg mit der „Walküren“-Sieglinde anknüpfte und Leucht- wie Strahlkraft erkennen ließ.

In Siegfrieds unfreiwilliger Begegnung mit den drei Rheintöchtern gelang es der Regisseurin überdies, eine starke Spannungsintensität zu vermitteln; hierbei überzeugte die Ensembleleistung der miteinander stets homogenen, aber auch in den solistischen Abschnitten profilierten Anna Nekhames, Karolina Makula und Katharina Magiera. Nicht ganz einleuchten wollte Fassbaenders Gestaltung des zweiten und dritten Finales. Der noch einmal, von Wagner bewusst als Störfaktor konzipierte, aufmarschierende Hochzeitszug nach dem Rachebund-Terzett entfiel, wie auch die finale Vernichtung der Götter und das Überleben der einfachen Menschen keine unmittelbare szenische Umsetzung fand. Dafür kommt Hagen nicht durch die Rheintöchter, sondern durch Alberich (den Fassbaender zutreffend als Beobachter der Geschehnisse ab der zweiten Prolog-Szene bis hin zu den Schlusstakten präsent hält) ums Leben.

Bei den Männerstimmen war der Gesamteindruck der Aufführung „on top“, wozu auch Olga Yanums fulminant einstudierter Mannen-Chor gerechnet werden darf. Vincent Wolfsteiner sang den Siegfried glanzvoll und mit feurig-heldischer Attacke, Craig Colclough gab einen recht intensiven Alberich, und der schon im „Rheingold“ als Donner überzeugende Manuel Walser verlieh der oft blässlichen Figur des König Gunther Markants und Kontur. Als Hagen steuerte Robert Pomakov seine Kraftfülle kultiviert und machte mit seiner starken Bühnenpräsenz deutlich, wer der eigentliche Drahtzieher in diesem Endspiel um Machtgier, Ring und Liebesfluch ist.

Am Dirigentenpult des im Verhältnis zum vorangegangenen „Siegfried“ in manchen Bläserpassagen nicht mehr ganz so ausgewogenen Tiroler Festspielorchesters baute Erik Nielsen Spannungsbögen voller Intensität, ließ Klangwallungen aufkommen, sich stauen und gleichsam entladen, erschloss eine gestalterische Palette von warmer Innigkeit bis hin zu elementarer orchestraler Wucht. Darüber hinaus gelang ihm eine plastische Darstellung der kontrapunktischen Verflechtungen der Partitur. Mitunter hätte man sich in denjenigen Szenen, die von einem stärkeren Sprachduktus oder Parlandoton getragen sind (beispielsweise in den Duetten Siegfried-Brünnhilde oder Hagen-Alberich wie überhaupt in der Gibichungen-Szene bis hin zu Hagens abschließendem Wacht-Gesang) flüssigere Zeitmaße gewünscht. Alles in allem jedoch ist dieser Erler „Ring“ eine formidable Neuproduktion von Wagners Tetralogie, die schon heute Vorfreude auf deren Gesamtaufführung bei den Festspielen 2024 weckt.

DER KLASSIKKRITIKER

Premiere am 16., besuchte Vorstellung am 29. Juli. Aufführungstermine des gesamten „Ring des Nibelungen“ 2024: 5./6./8./10.7.  und 23./24./26./28.7.  

Weitere Informationen: https://www.tiroler-festspiele.at/spielplan

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