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IN DER RUMPELKAMMER VON WALHALL – Geglückte Premiere von Wagners „Siegfried“ am Badischen Staatstheater in Karlsruhe

Am Badischen Staatstheater in Karlsruhe wird weiter an Wagners Nibelungen-Ring geschmiedet, und das künstlerische Ergebnis, das nun mit dem „Zweiten Tag“, dem „Siegfried“ erzielt worden ist, erfüllt hohe Ansprüche. Die Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson  im Bühnenbild von Vytautas Narbutas und in den Kostümen von Sunneva Ása Weisshappel (die auch für die phantasievolle Videogestaltung verantwortlich war) ist insgesamt intelligent und plausibel ausgefallen, die Qualität des Sängerensembles hätte auch einem größeren Haus angestanden, und Generalmusikdirektor Justin Brown hat orchestererzieherisch Überdurchschnittliches erreicht.

Arnarssons gezielt eingesetzte Ironismen entsprachen durchaus Wagners Intention eines Satyrspiels, als welches der Komponist in seinen frühen Entwürfen das Drama vom „Jungen Siegfried“ dem finalen „Siegfrieds Tod“ (woraus später die „Götterdämmerung“ hervorging) voranstellen wollte. Das Bühnenbild deutete dabei den mit allem möglichen Inventar vollgestellten Innenraum eines herrschaftlichen Palais‘ an – als ob es im dritten Aufzug der „Walküre“ die mit Siegfried schwangere Sieglinde bei ihrer Flucht vor Wotan gerade einmal bis in die Rumpelkammer von Walhall geschafft hätte, wo sie inmitten von ausrangierten Ritterrüstungen (für die von Wotan zu „blindem Gehorsam“ gebundenen Helden zum Zwecke des „Endsiegs“ über Alberich?), Speeren, Helmen, Feuerstellen, Koffern und einem verstimmten Klavier den von Wotan erhofften „freien Helden“ niederbrachte und von Mime großziehen ließ, was Wotan aus einer altmodischen Kommandozentrale am rechten Bühnenrand heraus in jenen Szenen, in denen er nicht selber auftrat, penibel beobachtete – ein Wotan also, der tatsächlich „schaute“, wann immer er „nicht schaffte“.

Dabei ließen sich im weiteren Verlauf einige Anleihen von anderen Wagner-Inszenierungen der jüngeren Vergangenheit nicht verkennen. So war die Figurenzeichnung des Mime deutlich an Chéreau geschult, wohingegen der aus der Flasche trinkende Siegfried in der Schmiedeszene des ersten Aktes seine Herkunft von Kirchners Bayreuther Ring nicht verhehlen konnte; von Harry Kupfer übernahm Arnarsson den aggressiven Biss der Mime-Siegfried-Szenen und den forcierten Spielwitz für die schwarz-komödiantischen Handlungsabschnitte. Doch genauso gab es einige Bühnenstimmungen zu bewundern, die über solch prominente Vorbilder hinausgingen, beispielsweise das Lichtspiel zu Brünnhildes Erwachen zwischen der großflächig in den Bühnenhintergrund projizierten Iris eines Frauenauges und imitiertem Sonnenlicht; Siegfried sitzt dabei einsam an einem Tisch, nachdem er während des Zwischenspiels von der zweiten in die dritte Szene des dritten Aufzugs die Wände von Wotans Rumpelkammer kraftmeierisch beiseitegeschoben hatte. Auf diese Weise wurden die beiden Metaphern – jene der Sonne und die der seligen Öde – inszenatorisch klug visualisiert.

Mitunter trug allerdings die Entwicklung des scherzandesken Charakters dieser Oper manch absonderliche Blüte. Dass Siegfried seine glücklosen Versuche, das Waldvöglein zu imitieren, nicht auf einem Blasrohr unternimmt, sondern sie auf dem bereits erwähnten verstimmten Klavier klimpert, mag als eigenwilliger Akzent noch hingenommen werden können. Die nachfolgende Clown-Kostümierung eines Orchestermusikers zwecks Artikulation des sog. Siegfried-Hornrufs befremdete hingegen, und dass die Sängerin des Waldvogels (wie im Übrigen auch jene der Erda) noch bis zu Wotans Abgang im dritten Aufzug auf der Bühne bleiben und ein Handy-Foto nach dem anderen von Opa Wotan und Enkel Siegfried zu knipsen hatte, war einzig albern und verlor die Kulmination von heros und eros, wie sie Wagner in Rezeption der antiken griechischen Tragödie im 3. Aufzug vorführt, aus den Augen. Das finale große Duett hingegen wirkte ergreifend ohne hohle Posen oder falsches Pathos.

Dies war zugleich der große Moment für Heidi Melton, welche die Brünnhilde mit raumgreifender stimmlichen Klangfülle, feinstufigen Schattierungen sowie vollkommener Phrasierung und Artikulation gesungen hatte. Und Erik Fenton brachte die Titelpartie scheinbar mühelos über die Bühne, changierte vortrefflich mit seinen Vokalfarben, steuerte dabei überzeugend seine Stimme zwischen heldischer Leuchtkraft, metallischer Schärfe und zarten Lyrismen.

Matthias Wohlbrecht sang den Mime mit stupender Balance aus metallischem Timbre, darstellerischer Sensibilität, differenziert eingesetzter Komödiantik und perfekter Textdeklamation. Als dessen Bühnenbruder Alberich war Jaco Venter zu bewundern, der sein schwarz timbriertes Material hoch differenziert einsetzte. Avtandil Kaspeli empfahl sich mit seinem kurzen, wiewohl eindrucksvollen Fafner-Auftritt, und Renatus Meszar setzte als Wanderer Wotan seinen großräumigen Bariton auch, wo gefordert, angemessen lyrisch ein, so bei seinem Arioso über die „wolkigen Höhen“, desgleichen aber auch im 2. Aufzug zu seiner Sentenz an Alberich „Alles ist nach seiner Art“ oder im dritten beim Augengleichnis. Uliana Alexyuk gab einen stimmschönen Waldvogel, Katharina Tier überzeugte als intensive Erda.

Einmal wieder erwies sich Justin Brown als kompetenter Wagner-Dirigent. Von einer kurzen Ermüdungserscheinung zu Beginn des dritten Aufzugs abgesehen, folgte die Badische Staatskapelle mit disziplinierter Flexibilität Browns Intentionen, und herausgekommen war ein schlanker, dabei stets gehaltvoller Wagner-Klang ohne prätentiösen Ballast. Brown befreite Wagners Partitur von teutonisch-belastender Tradition, so erklang das sogenannte „Speermotiv“ beispielsweise unter seiner Stabführung alles andere als blechlastig, entwickelte gar bis dato hier selten vernommene Leggiero-Qualität.

Durchweg hatte er hörbar am Detail gearbeitet, ohne sich in selbigem zu verlieren, so dass er bei seinem konzisen Dirigat stets die große Linie, das Ganze, vor Augen hatte. Schon die ersten Takte des Vorspieles vermochten zu fesseln, zwangen nachgerade zum intensiven Hören, als Brown die zukunftsweisende Faktur von Wagners musikalischer Schreibart offen legte, die schon freitonal anmutende Bassfigur des Fafner-Motivs als dezidiert unumrissene, nachgerade wesenlose Phrase vor dem geheimnisvoll-geräuschhaften pianissimo-Rollen der Pauke im Raum stehen ließ. Alles in allem: ein hörens- und sehenswerter neuer „Siegfried“!

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SUGGESTIVE BILDER – Yuval Sharons Neuinszenierung von Wagners „Walküre“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Das hatte sich der Göttervater Wotan schön ausgedacht: An seiner Statt sollen die ihm willenlos ergebenen Menschen den an die Riesen unfreiwillig abgetretenen Ring zurückholen, weshalb er – natürlich nicht mit seiner Ehefrau Fricka – eigens ein Menschengeschlecht, die Wälsungen, zeugt, deren Stammessprösslinge Siegmund und Sieglinde sich mehr zugetan sind, als es unter Geschwistern gemeinhin üblich ist und auf diese Weise Wotan zum Großvater machen. Dadurch bringt er sich gegenüber seiner Frau in Erklärungsnotstand und muss schließlich seinen Menschensohn opfern. (Sieglinde wird später bei der Niederkunft Siegfrieds sterben, was Wagner jedoch unvertont ließ und uns somit eine fünfte „Ring“-Oper vorenthielt…)

Den Wälsungen geht es also gar nicht gut in diesem Stück – nicht umsonst ist deren musikalisches Hauptthema konstituierend für den Trauermarsch der späteren „Götterdämmerung“! – doch Justin Brown, der Dirigent der Karlsruher Neuinszenierung, steht deutlich hörbar auf ihrer Seite: Die zarten Lyrismen ihres Motivgefüges kostete er nach der angemessen zupackend genommenen Sturm-Musik der Einleitung fast über Gebühr aus. Dies wiederum korrespondierte mit einem interessanten Regieeinfall von Yuval Sharon, der im Verlauf des ersten Aufzugs immer wieder einzelne Orchester-Solisten – Cello, Englisch-Horn, Oboe und Klarinette – im Bühnenbild von Sebastian Hannak sichtbar werden ließ, durchaus im Sinn von Wagners Auffassung, dass das Orchester, dem Chor im Drama der griechischen Tragödie vergleichbar, das Spiel der Handlungsträger zu kommentieren hätte.

Mit angemessen eruptiver Leidenschaft startete Brown in den zweiten Aufzug, den Wagner gemäß eigener Anweisung „mit äußerster, vordringender Energie“ eingeleitet wissen wollte. Auch die von ihm geforderten, oft nur innerhalb eines Taktes sich vollziehenden Tempo-Modifizierungen („Etwas breiter – Vorwärts“) setzte der Dirigent hier um, desgleichen den nachfolgenden Monolog mit Brünnhilde („Das Zwiegespräch zwischen Wotan und Brünnhilde durchaus energisch und rasch vordringend“) und später die Auseinandersetzung mit Fricka. Erfreulicherweise vermied Brown es auch, die Todverkündigungsszene extrem auszudehnen, wie dies vielerorts geschieht, obwohl Wagners Spielanweisung an dieser Stelle mehr eine Charakter- denn eine Tempovorschrift ist („Sehr feierlich und gemessen“), desgleichen die nachfolgenden Vorgaben wie z. B. „Die durch die rhythmische Figur der Pauken ausgefüllten Pausen nicht zu sehr ausdehnen“ oder auch „Sich durch diese breite Melodie nicht zum Schleppen verführen lassen“. Brown beherzigte diese wie auch zahlreiche andere der vielen Spielanweisungen, die uns von Richard Wagners persönlicher Probenarbeit durch seine Bayreuther „Ring“-Assistenten von 1876 überliefert sind – unter ihnen Felix Mottl, der später als Musikdirektor in Karlsruhe den Grundstein der bis heute lebendigen Wagner-Rezeption an diesem Theater gelegt hatte, das einst sogar die Uraufführung des „Tristan“ in Erwägung gezogen hatte…

Im Vorspiel zum dritten Akt, dem berühmten „Walkürenritt“, wäre mehr eruptive Expressivität wünschenswert gewesen, um die es dem Komponisten hier gegangen war. Von mehr Intensität war der weitere Verlauf des dritten Aufzugs getragen, in den orchestralen Kommentaren zur Wotan-Brünnhilde-Auseinandersetzung gleichermaßen wie im farbenreich ausmusizierten „Feuerzauber“, der auch optisch sehr viel Freude bereitet hatte. Stefan Woinke zeichnete dabei für die gekonnte Lichtregie verantwortlich.

Überhaupt bestach Yuval Sharons Neuinszenierung durch zahlreiche Details bei der Personenführung. Die wachsende Zuneigung zwischen Siegmund und Sieglinde, die sich während des ersten Akts subtil entwickelt und schließlich zum Inzest steigert, hatte Sharon formidabel herausgearbeitet, desgleichen die eingeschüchterte Servilität Sieglindes gegenüber Hunding. Und das Frühlingserwachen im Hintergrund zu Siegmunds Liebe- und Lenzlied war von selten geschauter Anmut.

Im zweiten Aufzug gelangen Sharon große, von dramatischer Innenspannung erfüllte Dialoge zwischen Brünnhilde und Wotan, Brünnhilde und Siegmund sowie Wotan und Fricka. Deren Ausbruch „Die Betrog‘ne lass’ auch zertreten“ wurde zum verzweifelt-zornigen Kulminationspunkt ihrer Auseinandersetzung mit Wotan, der sich getroffen geschlagen geben musste, als sie ihn nicht nur des Ehebruchs, sondern des Ausstiegs aus dem eigenen, von ihm selber geschaffenen Wertesystem zieh und damit in die Enge getrieben hatte. Im nachfolgenden großen Monolog erhellten dann die klugen Video-Einspielungen von Jason H. Thompson die dramaturgischen Zusammenhänge entsprechend der von Wagner platzierten Erinnerungsmotive und unterstrichen Wotans Sinnen.

Der dritte Aufzug begann mit einem optisch wenig plausiblen Fallschirmspringen der acht Walküren. Wesentlich überzeugender zeigte Sharon die Ambivalenz der „Wunschmädchen“ zwischen deren Angst vor Wotans Zorn und dem heftigen, wiewohl vergeblichen Versuch des Aufbegehrens gegenüber dem „Heervater“. Genauso glaubhaft wirkte Brünnhildes Sorge um die Rettung Sieglindes, und Wotans Abschied von Brünnhilde („Leb‘ wohl, du kühnes, herrliches Kind!“) barg Momente von großer Ergriffenheit.

Bei den Sängern ließ Peter Wedd als Siegmund nicht unbeeindruckt. Katherine Broderick war eine geradezu anrührende Sieglinde: Ihr zarter und doch gehaltvoller Sopran spricht in jeder Lage weich und sofort an, ihre Phrasierungskultur ist mustergültig, die Diktion – wie im Übrigen auch bei Wedd und den weiteren Solisten – ausgezeichnet. Avtandil Kaspeli knüpfte mit dem Hunding an seinen „Rheingold“-Erfolg als Fafner an: bassgewaltig und dunkel timbriert, dabei durchweg belcantil

durchdrungen und differenziert gestaltend, empfahl sich dieser Sänger noch für weitere, höhere Aufgaben im Wagner-Fach – so, wie sie am Premierenabend von Renatus Meszar als Wotan bewältigt worden sind. Die Fricka gestaltete Ewa Wolak volumenreich, furios und klar artikulierend, als Brünnhilde ließ Heidi Melton einen hochdramatischen, dabei stets blühenden Sopran hören, und aus dem vorzüglichen Walküren-Oktett ragte die Waltraute von Katharine Tier besonders hervor. DER KLASSIKKRITIKER

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GEGLÜCKTER EINSTIEG IN DEN NEUEN „RING“ – Wagners „Rheingold“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe

David Hermann, der junge Regisseur und einstige Neuenfels-Assistent, formulierte für seinen Einstieg in Wagners Nibelungen-Tetralogie am Badischen Staatstheater einen interessanten Gedanken: „Wenn Wotan Alberich den Ring entreißt, tut er das mit der gleichen Vehemenz, mit der in der Götterdämmerung sein Enkel Siegfried Brünnhilde den Ring entreißt. Wenn Fafner im Rheingold seinen Bruder Fasolt erschlägt, um den Ring zu behalten, wiederholt sich die Szene in der Götterdämmerung zwischen Hagen und seinem Halbbruder Gunther. Solche Analogien machen wir in Parallelszenen sichtbar“.

Konkret bedeutete dies für die Karlsruher Neuinszenierung des „Rheingolds“, dass parallel zu den singenden Darstellern Pantomimen abliefen, die auf Künftiges hinwiesen. Da schmiedet Siegfried schon parallel zur Werktätigkeit der arbeitsversklavten Nibelungen im dritten Bild sein Schwert und haut einen Stab, den Wotan in der Hand hält, in zwei Stücke. In der Überleitungsmusik vom zweiten ins dritte Bild sehen wir Wotan, wie er Erda zum Geschlechtsverkehr zwingt (ein Geschehnis, von dem Wotan im zweiten Akt der „Walküre“ nur erzählt). Und im vierten Bild agiert ein den König Gunther der „Götterdämmerung“ antizipierenden Statist wie ein gewollter Despot, eine jämmerliche Miniatur-Ausgabe des Götterstaats-Chef Wotan. Und statt finalem Regenbogen-Zauber nach „blitzend Gewölk“ sieht man zu den Schlusstakten den Weltenbrand und die drei Rheintöchter, denen Urmutter Erda wieder den Ring zurückgibt.

Dieses Regie-Konzept ging auf. Es konnte allerdings nur deswegen aufgehen, weil Regisseur David Hermann für die drei folgenden „Ring“-Teile nicht mehr verantwortlich ist. Denn Karlsruhe verteilt die vier Opern auf vier Regisseure. Diese Idee ist nicht neu; schon am Aalto-Theater in Essen beschritt man diesen Weg, auch im Stuttgart in der legendären Ära Zehelein, dort mit wechselnden Inszenierungs- Erfolgen: Auf ein phänomenales „Rheingold“ folgte eine mäßig überzeugende „Walküre“, welche den Figuren die Fallhöhen raubte, ein mit wilder Fabulierlust erzählter „Siegfried“ und eine „Götterdämmerung“, zu deren Schluss dem damals hoch gehandelten Meisterregisseur nicht mehr eingefallen war, als Wagners originale Regieanweisung auf den Bühnenprospekt zu projizieren. Bleibt also zu hoffen, dass in Karlsruhe überzeugender produziert wird und das inszenatorische Niveau, das Hermann erreichte, beibehalten wird.

Dass dessen Einsatz von Statisten, welche die eigentliche Handlung durchkreuzen, sinnfällig wirkte und nicht unbeholfen wie seinerzeit bei Tankred Dorsts „Ring“ in Bayreuth, ist darauf zurückzuführen, dass die antizipierenden Analogiebildungen schlüssig mit den dazugehörigen Erinnerungsmotiven in der Musik korrespondierten. Dies setzte zugleich Wagners musikdramaturgisches Prinzip von „Ahnung und Erinnerung“, welches er mit seinem „Gewebe von Grundthemen“ (er sprach ja niemals von „Leitmotiven“!) verfolgte, plausibel in der Bühnendarstellung um. Figuren und Charaktere wurden dabei von Hermann mit scharfem Profil herausgearbeitet, der mitunter böse Konversationston detail- und pointenreich visualisiert (beispielsweise zu Beginn des zweiten Bilds, wenn Fricka zu ihrem ersten Vers „Wotan! Gemahl! Erwache“ die Stehlampe am Sofa anknipst, auf welchem ihr Göttergatte von Mannes Ehre, ewiger Macht und endlosem Ruhm träumt). Weniger geglückt war die Eingangsszene von Alberich, dessen wachsende Wut nicht genügend gefährlich entwickelt worden, und auch dass sich der antiziperte Welten-Brand aus Wotans Kago-Ofen heraus entwickelt, wirkte gemessen an der intendierten Aussage zu possierlich. Doch diese Einwände schmälern Hermanns Gesamtleistung nicht.

Auch die sängerischen Leistungen waren in der Gesamtbetrachtung sehr gut. Renatus Meszar ist ein angenehm unoutrierter und unpathetischer Wotan mit hoher Belcanto-Kultur und intensiver Bühnenpräsenz. Gemeinsam mit Katherine Tier, einer Sängerdarstellerin von Rang für die Fricka, war das „hohe Paar“ elegant besetzt. Glück hatte man auch mit den beiden Tenören Klaus Schneider und Torsten Hofmann – Schneider ein Loge mit heldischem Format im Stimmtypus und mephistophelisch-durchtriebener Agilität im Spiel, Hofmann als charaktervoller Mime, der das an dieser Stelle häufig zu beobachtende Chargieren dankenswerterweise vermied  und die Tragödie hinter der Figur glaubhaft machte. Der dritte Tenor des Abends, Cameron Becker, begann den Froh als feuriger Heißsporn, ließ aber im vierten Bild erstaunlich nach.

Als 1975 Günther Rennert an der Bayerischen Staatsoper Wagners „Ring“ neu inszeniert hatte, fiel zum „Einzug der Götter in Walhall“ ein signifikantes Detail auf: Freia wandte während der von Wagner mit bewusst hohlem Pathos komponierten Schlusstakte im Gegensatz zu den anderen Göttern noch einmal den Blick zurück auf den am Boden liegenden Leichnam des erschlagenen Fasolt. Diesen Gedanke einer sich entwickelnden Beziehung zwischen dem menschlicheren der beiden Riesen und Wotans Schwägerin konnte man in den zurück liegenden 40 Jahren in „Ring“-Neuinszenierungen immer wieder mit tendenziell stärkerer Ausprägung beobachten, noch nie aber so markant wie jetzt in Karlsruhe: Hier gewinnt der Betrachter den Eindruck, dass Freia sich die Entführung durch die Riesen geradezu herbeisehnt, um dem korrupten Göttersystem entrinnen zu können; sie liebt Fasolt und trauert schlussendlich um ihn. Agnieszka Tomaszewska sang und spielte diese Entwicklung bezwingend, wie auch Yang Xu den Fasolt mit wohltönendem Bariton sang, im Ensemble nach unten profund abgestützt durch den tiefengesättigten Avtandil Kaspeli als Fafner.

Satte und zugleich schwarz timbrierte Tiefenklänge waren auch von Jaco Venter als Alberich zu hören, der bis zu erschütternd gestalteten Fluch im vierten Bild die Partie souverän bewältigt hatte. Bei Mutter Erda und ihren drei Rheintöchtern sang Ariana Lucas tief bewegend ihre Mahnung an Wotan; im homogenen Ensemble ihrer Bühnenkinder gebührt Kristina Stanek als Wellgunde der erste Platz.

Die vier Regisseure im neuen Karlsruher „Ring“ werden also wechseln; konstant indessen bleibt Justin Brown als Verantwortlicher für die musikalische Leitung, und das ist – vom „Rheingold“-Dirigat aus betrachtet – auch gut so. Er beherrscht die Partitur, gliedert nachvollziehbar die dynamischen und agogischen Abläufe, hält den Sprachduktus im Fluss, setzt geglückt die Akzente, arbeitet minutiös die Details heraus und wahrt einen intensiven Bühne-Graben-Kontakt. Das macht Lust auf mehr – im Dezember bei der „Walküre“.

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