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Bekenntnis zur Naturkulisse – Mit dem „Siegfried“ setzt Brigitte Fassbaender ihre kluge Sicht auf Wagners „Ring des Nibelungen“ bei den Tiroler Festspielen Erl fort

Als Gegenpol zum Machtstreben einer korrupten und ausbeuterischen Gesellschaft ist die Natur in Wagners „Ring des Nibelungen“ dramaturgisch von zentraler Bedeutung. Schon vor Beginn des „Rheingolds“ beging Wotan seinen Naturfrevel, von dem ab das im finalen Untergang des Götterstaats dominierende Unheil seinen Lauf nimmt. Und so ist es nur sinnfällig und folgerichtig, dass sich Brigitte Fassbaender in ihrer Neuinszenierung der Tetralogie für die Tiroler Festspiele Erl zu der von Wagner in seinen Regieanweisungen immer wieder vorgegebenen Naturkulisse bekennt, die insbesondere im „Siegfried“ eine wichtige Rolle spielt.

Bei Fassbaender darf ein Wald auch ein solcher sein, freilich kitschbefreit und apart stilisiert, fantasievoll in Farbe und changierendes Licht getaucht (Bühnenbild: Kaspar Glarner, Licht: Jan Hartmann), korrespondierend zu den mit „Waldweben“ und „Wachsendem Waldweben“ vom Komponisten betitelten früh-impressionistischen Klangflächen, die Erik Nielsen aus seinem prächtig disponierten Festspielorchester heraus zaubert. Und zauberhaft war dann auch die Idee, aus Wagners Waldvögelein gleich ein Vogelpaar zu machen, das den jungen Siegfried animiert, sich die Lippen mit dem Blut des erschlagenen Fafner zu netzen und infolgedessen die Sprache der Vögel zu verstehen, dadurch die unterbewussten Gedanken des hintertückischen Mime zu erkennen. Selten ist dies in einer Inszenierung so deutlich herausgearbeitet worden wie jetzt von Brigitte Fassbaender in Erl.

Genauso selten ist auch eine Wagner-Aufführung zu erleben, bei der die letzte Bayreuther Spielanweisung, die der Komponist im Vorfeld der ersten Ring-Aufführung von 1876 gegeben hatte – „Deutlichkeit!“ – so kongenial umgesetzt worden ist, was einmal wieder den Eindruck hinterließ, dass Brigitte Fassbaender nicht nur szenisch, sondern auch auf der Grundlage ihrer Erfahrungen als herausragende Sängerin hinsichtlich der musikalischen Diktion mit ihrem Ensemble gearbeitet hatte. Alle Solist/innen verband eine exzellente Textdeutlichkeit bis in die höchsten Lagen des Waldvogel-Parts hinauf, den Anna Nekhames mit glockenklarer Anmut gestaltet.

Es würde Seiten füllen, all jene Details aufzulisten, welche Brigitte Fassbaender ihrer Inszenierung zugrunde gelegt hat, beginnend mit dem klug visualisieren Vorspiel zum ersten Aufzug, das von Mimes sogenanntem „Grübel-Motiv“ getragen ist (dessen sinistere Farben Nielsen nochmals intensivierte) und ins Hämmermotiv übergeht. Bei Fassbaender denkt Mime zu diesen Takten an seine Schwierigkeiten mit Siegfried schon in dessen ganz jungen Jahren zurück: Ein Kinderstatist zerhaut mit ungebändigter Kraft und einem Spielzeugschwert Gegenstände und schmeißt das von Mime zubereitete Essen durch die Gegend, so wie es sich dann später zu den Worten „Braten schuf ich mich selbst/deinen Sudel sauf allein“ nochmals ereignen wird, korrespondierend zu Wagners Regieanweisung, dass Siegfried seinem Ziehvater einen Suppentopf aus der Hand wirft. Will sagen: So, wie Wagner musikalisch mit seiner Motivtechnik das Prinzip von Ahnung und Erinnerung anwandte, setzte Brigitte Fassbaender über die drei Aufzüge hin ein szenisches Beziehungsgeflecht, bei dem jede Geste und jede Mimik auf den Punkt passte.

So traf Siegfried mit seinem Schwert Nothung den Fafner (der als schwer bewaffnetes Kriegerdenkmal seiner selbst auf seinem Tresor thronte) tatsächlich „ins Herz“, und in der Szene zwischen Erda und dem als Wanderer durch die Welt streifenden Wotan zeigte die Regisseurin nicht nur, wie nahe die Beiden einander einst waren und welche erotisierende Spannung nach wie vor zwischen ihnen besteht, sondern machte auch deutlich, dass die Wissende dem sorgenvoll Fragenden dann die begehrte Kunde verweigert, als sich Wotan damit brüstet, deren gemeinsame Tochter Brünnhilde zur Strafe in einen wehrlosen Schlaf gebannt zu haben. Detailgenau auch der Einsatz von Requisiten – Brünnhildes Lieblingspferd Grane weidet nicht naturalistisch im Bühnenhintergrund (was kitschig wäre), raucht auch keine Zigaretten wie bei David Alden in München (was Krampf war) oder wird gleich ganz weggelassen (was Verlegenheit ist), sondern sie trägt dessen Miniatur als Kette um den Hals. Und wenn Siegfried den Tarnhelm des erschlagenen Fafners an sich nimmt, der wie eine AR-Brille aussieht, ist dies ein augenzwinkernder Gruß an den Regiekollegen vom aktuellen Bayreuther „Parsifal“.

Musikalisch war ein großer Wagner-Abend zu erleben; kleinere Abstriche waren bei Craig Colclough hinzunehmen, der für einen „Schwarzalben“ auch vom Timbre her nicht überzeugend war. Wesentlich mehr Schwärze brachte dagegen der Fafner von Anthony Robin Schneider auf die Bühne. Peter Marsh sang den Mime metallisch timbriert und mit einer Deklamationsschärfe, die an den legendären Heinz Zednik aus dem Chéreau-Ring erinnerte, und Simon Balley ließ als Wotan-Wanderer hinreißende Belcanto-Bögen verströmen (sein „Alles ist nach seiner Art“ im zweiten Aufzug ging zu Herzen), setzte daneben Akzente von dramatischer Wucht. Mit kolossalem Stehvermögen bewältigte Vincent Wolfsteiner die Titelpartie, mühelos zwischen sämtlichen, nach oben wie unten voll ausgebauten Registern wechselnd. Zanda Šwĕde war eine hervorragende Erda, Christiane Libor eine großartige Brünnhilde.

Der Regisseurin vergleichbar, arbeitete Erik Nielsen am Dirigentenpult über die bereits genannten zahlreiche weitere Details heraus, beispielsweise in der Abschattierung von Hörnern und Klarinetten beim sogenannten „Staren-Lied“ oder in der Begleitung von Brünnhildes „Heil dir Sonne“, als Harfen und Violinen gleichsam „mitsangen“, verstand sich darüber hinaus auf die großen Linien. Seine Tempi griffen das natürliche Parlando des Sprachduktus auf und kamen daher dem Konversationsstück-Charakter von Wagners „Siegfried“ sehr nahe. Auch die Proportionen stimmten durchweg; das „Aus dem Wald fort, durch die Welt zieh‘n“ erklang mit einer Prägnanz und zügigen Straffheit, wie sie DER  KLASSIKKRITIKER seit Boulez 1980 nicht mehr gehört hatte. Alles blieb im organischen Fluss, wie auch jene Passagen, in denen das Orchester das Handlungsgeschehen nachsinnend-emotional kommentiert, wunderbar ausmusiziert worden sind. Freuen wir uns also auf die „Götterdämmerung“! DER KLASSIKKRITIKER

Premiere am 8., besuchte Vorstellung am 27. Juli 2023. „Götterdämmerung“ am 29. Juli 2023. Weitere Informationen: https://www.tiroler-festspiele.at/spielplan

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ABGEKUPFERTES – Marco Štormans Neuinszenierung von Wagners „Götterdämmerung“ in Stuttgart

Für Marco Štorman, den Regisseur der Stuttgarter Neuinszenierung von Wagners „Götterdämmerung“, spielt der letzte Teil der „Ring“-Tetralogie bereits nach einer Welten-Katastrophe. Überlebende Menschen haben sich in einer zerstörten, einstmals großen Kirche eingerichtet und tappen orientierungslos durch das Rest-Weltgeschehen: Siegfried und Brünnhilde, die auf der einen Seite der Ruine ihren Bereich haben; die Gibichungen, die im Innern des früheren Sakralraums zwischen Kanzel- und Orgeltrümmern in einem provisorischen Plenarsaal König Gunthers hausen, obwohl es schon längst nichts mehr zu regieren oder entscheiden gibt.

Ganz neu ist solch ein post-apokalyptischer Gedanke freilich nicht; bereits Götz Friedrich brachte ihn seinerzeit in die Wagner-Rezeption ein. Gleichwohl ließe sich aus jenem noch heute spannendes Musiktheater machen, und Štorman bot hierfür Ansätze. Die Führung seiner Personen ist auf differenzierte Vielfalt ausgelegt; der Tarnhelm-Betrug Ende des ersten Aufzugs, bei dem Gunther und Siegfried einander ihre Gestalt tauschen, ist selten so plausibel visualisiert worden, wie er jetzt in Stuttgart zu sehen ist. Beeindruckend auch die Wirkung, welche die von Wotan gefällte Weltesche entfaltet, wenn sie wie ein Damoklesschwert immer wieder über den Protagonisten schwebt (Bühne: Demian Wohler), bis sie schließlich Hagen, der im stilisierten, schwarzschimmernden Rhein (Licht: Henning Streck) nach dem Ring fischt, unter sich begräbt.

Vermisst jedoch wird jenes erschütternde große Ganze, welches in bedeutungsvollen „Götterdämmerungs“-Inszenierungen das Publikum aufzuwühlen und im Innersten zu berühren vermag. Dafür gibt es zu viel Oszillieren zwischen Quatsch und Kitsch. Wenn zum Beispiel Siegfried zu den Worten „Nun Nothung, zeuge du …“   kein Schwert in die Hand nimmt, sondern sich einen Tierhelm aufsetzt. Auch der Mannenchor ist teilweise tierbehelmt und in römische Togen gekleidet, wie überhaupt die Kostüme (Sara Schwarz) von nur bedingtem Einfallsreichtum zeugen, beispielsweise nicht zwischen Nornen und Rheintöchtern unterscheiden. Gunther und die Seinen knipsen Polaroid-Bildchen und freuen sich kindisch über deren Sofort-Entwicklung. Hagen lässt im zweiten Aufzug nicht an seines „Speeres Spitze“ schwören, da er solch eine Waffe gar nicht bei sich hat (obwohl um den „Walkürenfelsen“ herum genügend Spieße im Boden stecken). Erst im dritten Aufzug bedient er sich eines solchen, doch nachdem er Siegfried niedergestreckt hat, hockt sich dieser gemütlich zu Gunthers Gefolgsleuten und wartet, bis sich für die Trauermusik der Zwischenvorhang schließt. Sodann gibt es weder eine aufgebahrte Leiche noch einen Brudermord. Gutrune streift Gunther den Ring vom Finger wie später Brünnhilde ihr, um nach den Grane gewidmeten Schlussworten mit Siegfried auf einem Einhorn-Rücken von dannen zu ziehen. Vernichtung der Göttermacht im Walhall-Brand? Fehlanzeige. Und wenn schließlich zu den Klängen des sogenannten „Erlösungsmotivs“ Kinder mit Taschenlampen einen Ausweg aus dem Bühnendunkel suchen, ist dies etwas im Wortsinne Abgekupfertes. Nur dass diese Kinder in Harry Kupfers Bayreuther „Ring“ von Alberich, den Wagner in seinem Endzeitstück hintersinnig überleben lässt, argwöhnisch beobachtet werden. Was Štorman freilich so nicht hätte zeigen können. Denn in Stuttgart ist Alberich eine Art Nachtmahr des schlafenden Hagens; beide Figuren werden vom selben Sänger gesungen, wobei sich Patrick Zielke mit den Alberich-Passagen leichter tut als bis dahin mit jenen Hagens, wiewohl er im weiteren Verlauf stentoral das Rachebundterzett und die von Chorleiter Manuel Pujol fulminant auf den Punkt gebrachte Mannenszene gestaltet.

Zusammengehalten wird die Neuproduktion primär durch den Dirigenten Cornelius Meister und das meistenteils formidabel aufspielende Staatsorchester Stuttgart. Bei den Sängern führen Shigeo Ishino, der die oft unterbelichtete Partie des Königs Gunther mit starken Akzenten versieht und vor allem Stine Marie Fischer in ihrer fesselnden Waltrauten-Szene. Im Dialog mit ihr gewinnt auch die volumenreiche Christiane Libor zunehmend an Deklamationskompetenz und Farbschattierungen. Ähnlich das Ergebnis von Esther Dierkes‘ Gutrune: schönstimmig und agil spielend, doch erst im Verlauf an Textdeutlichkeit gewinnend. Daniel Kirch hat die Kraft für den Siegfried, erreicht in gestalterischer Durchdringung der Partie jedoch nicht die hohen Maßstäbe, wie sie sein Kollege Daniel Brenna in der Titelrolle der vorangegangenen „Ring“-Oper gesetzt hatte. Die Solistinnen für die drei Nornen und die Rheintöchter erweisen sich jeweils als homogen aufeinander abgestimmt. Bleibt abschließend, Wolfgang Fuhrmann für seinen klug Wagners musikalische Rhetorik beleuchtenden Programmheft-Beitrag zu würdigen.

DER KLASSIKKRITIKER

Premiere und besuchte Vorstellung am 29. Januar 2023; Folgeaufführungen: 12./19.2., 12.3., 10.4.2023

Weitere Informationen: https://www.staatsoper-stuttgart.de/spielplan/a-z/goetterdaemmerung/

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DIE STUNDE DER SCHWARZALBEN – Auftakt zum neuen „Ring des Nibelungen“ an der Bayerischen Staatsoper

Noch vor dem eigentlichen „Wagner-Jahr“ geht die Bayerische Staatsoper daran, einen neuen „Ring“ zu schmieden. Für die Inszenierung zeichnet Andreas Kriegenburg verantwortlich, der sich vor einigen Jahren schon bei den Münchner Kammerspielen mit dem Nibelungen-Stoff auseinandergesetzt hatte, als er Friedrich Hebbels Schauspielversion auf die Bühne brachte; am Pult steht Münchens Noch-GMD Kent Nagano.

Anfang und Schluss des neu inszenierten „Rheingold“ leuchteten in Kriegenburgs Sicht allenfalls theoretisch ein: In einem Interview hob er als zentralen Denkansatz für seine „Ring“-Interpretation den Erzählduktus des mythologischen Stoffs hervor: „Die Intention zu erzählen ist ein wesentlicher Motor für die Geschichte. Wagner ist musikalisch fortlaufend am Erzählen, mit Ahnungen und Deutungen, die sich überschneiden. Wir wollen versuchen, den ‚Ring’ wieder als eine unsere Kultur stiftende Erzählung zu verstehen und als ein soziales Ereignis: Man teilt einander Gewusstes, Erlebtes oder auch Erfundenes mit“. Und weiter: „Es gibt nicht den einen Erzähler, sondern der gesamte Apparat der Oper fungiert als Erzähler. Die Gesellschaft setzt sich mit ihren Wurzeln auseinander, indem sie sich von ihnen erzählt“.

Und so blickt man schon beim Betreten des Zuschauerraums auf eine offene, hell erleuchtete Bühne, mit teils umher wuselnden, teils picknickenden weißgekleidete Gestalten, dazwischen die Rheintöchter und Alberich. Nach einiger Zeit entkleiden sich die Weißgewandeten, malen sich mit blauer Farbe an und formieren sich zum wellenförmigen Bewegungschor, zunächst zu glucksendem Wassergeräusch, einer defekten Klosettspülung nicht unähnlich, bis nach geraumer Zeit das urgrundtiefe Es der Kontrabässe das Weltendrama auch musikalischerseits in Gang setzt. Zum finalen Gewitterzauber bevölkert der Bewegungschor erneut die Bühne und darf mit goldfarbenen Donnerblechen wedeln.

Schon Harry Kupfer hatte in seinem Bayreuther „Ring“ die Idee, dem eigentlichen Orchestervorspiel ein stummes szenisches voranzustellen: Er zeigte damals, gleichsam im Vorgriff auf das Geschehen in der „Götterdämmerung“, den kollektiven Mord eines Individuums. Dies erhellte auf sinnstiftende Weise, dass schon zu Beginn des „Rheingolds“ Verbrechen und Unrecht in der Welt ist und Wotans Speer mehr schadet als ordnet. Wo aber war die Sinnhaftigkeit von Kriegenburgs Eingangsbild, außer man wollte darin jene Idee eines kollektiven Einander-Erzählens des Weltenmythos zum Ausdruck gebracht sehen?

Auch zu Beginn der zweiten Szene blieb Kriegenburg hinter seinem Konzept zurück. So forcierte er in seinem Interview zur Neuinszenierung das Göttliche der Wotanfigur und distanzierte sich von deren Vermenschlichung: „Wir müssen Insignien von Macht finden, die keinem Menschen zustehen“. Wenn sich dann allerdings Wotan bei seinem ersten Auftritt erst einmal die Schuhe auszieht und schlafen legt, seine Frau Fricka dazukommt, sich über den schlafenden Herrn Gemahl ärgert und ihm die Schuhe nachwirft, stellt sich die Frage, wie die große Fallhöhe dieses in sich selber gefangenen und tief zerrissenen Gottes durch die Regie akzentuiert werden soll, wenn es bei Familie Wotan zugeht wie bei Hempels unterm Sofa.

Anderes ist Kriegenburg sehr plausibel gelungen. Alberichs Liebesfluch und Goldraub beispielsweise war von packender Intensität, auch die Nibelheim-Szene, in der die von Alberich zur Goldminenausbeutung brutal geschundenen Arbeiter tatsächlich jene „scheuen Knechte“ vorstellten, als welche sie im Libretto apostrophiert werden. Überwiegend ist Kriegenburg eine dichte Personenführung zu attestieren, die neugierig auf die weiteren „Ring“-Teile macht. 

Dirigent Kent Nagano setzte auf weich fließende Linien und hielt sein höchst kultiviert aufspielendes Bayerisches Staatsorchester zu einer stets sängerfreundlichen Lesart der Partitur an. Dadurch blieb manch dramatische Zuspitzung nicht zu Ende entwickelt, und auch für den pulsierenden Konversations- und Deklamationston der Musik erwiesen sich die Zeitmaße mit rund 2-¾ Stunden Gesamtspieldauer als zu breit. Besonders im „Rheingold“ legte Wagner Wert auf rasche und zügige Tempi; von seinen eigenen Bayreuther Proben 1876 ist der Ausruf überliefert: „Alles nun folgende Dialogische mit besonderer Vermeidung jedes Schleppens! Wenn ihr nicht alle so langweilige Kerle wärt, müßte das ‚Rheingold’ in zwei Stunden fertig sein“.

Auch mit den von Wagner immer so leidenschaftlich geforderten Sängerdarstellern war es an diesem Premierenabend nicht überall zum besten gestellt. Johan Reuter begann sein „Vollendet das ewige Werk“ schmalbrüstig und mit wenig Volumen; alles in allem hat er seinen Wotan bewältigt, aber was ist das für ein Wertprädikat angesichts der großen Tragöden, die man in dieser Partie schon erlebt hat, gleichgültig, ob sie nun Hotter, Adam oder Tomlinson hießen. Levente Molnár hatte da als Donner schon mehr Bassmaterial zu bieten, und beim Riesenpaar führte Thorsten Grümbel (Fasolt) deutlich vor Philip Ens’ Fafner. Thomas Blondelle ließ insbesondere im „Zur Burg führt die Brücke“ an Glanz und Strahlkraft vermissen; sein Tenor-Kollege Stefan Margita sang den Loge flexibel, sicher und mit zur Rolle passendem Leichtmetall-Timbre.

Bei den Damen musste man bis zur Erda-Szene von Catherine Wyn-Rogers ausharren, um endlich in jeder Hinsicht gestalteten Wagner-Gesang zu hören. Keine Frage: Fricka (Sophie Koch), Freia (Aga Mikolaj) und die drei Rheintöchter (Eri Nakamura, Angela Brower, Okka von der Damerau) waren gut bei Stimme, doch in Sachen Intensität, Diktion und vor allem der Wagner so wichtigen Deutlichkeit machte ihnen Wyn-Rogers einiges vor.

Also verbleibt für die Bilanz zunächst der Tenor Ulrich Reß, der als Mime eine von vokaler Substanz getragene Bühnenpräsenz erkennen ließ; seine Erzählung, wie Alberich den Ring schmiedete und die eigenen Artgenossen versklavte, hat man selten so differenziert gehört wie an diesem Abend. Für den Albereich selber sprang kurzfristig Johannes-Martin Kränzle ein, der die Partie bravourös gemeistert hat. Und so wurde dieses neue Münchner „Rheingold“ zur Sunde der Schwarzalben. DER KLASSIKKRITIKER

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